Foto: Erika Babatz

Wencke Clausnitzer-Paschold

Archivarin

Liebe Wencke, du bist seit 10 Jahren Archivarin am Bauhaus-Archiv. Erzähle ein bisschen von deiner täglichen Arbeit!

Zurzeit sind wir ja aufgrund der Bauarbeiten für unseren Neubau geschlossen, sonst würde ich meine Vormittage weiter mit den ArchivnutzerInnen verbringen – Archivalien bereitstellen, Recherchefragen im Lesesaal beantworten. Nachmittags habe ich dann meistens die Neuerwerbungen und Schenkungen erfasst. Ich bin auch viel im Austausch mit ForscherInnen und natürlich mit meinen KollegInnen, wenn es z.B. um Restaurierung und Ausstellungsvorbereitung geht. Aber jetzt, wo Archiv und Museum geschlossen sind, ist endlich einmal Zeit, sich umfassend um die Bestände zu kümmern.

Was bedeutet das?

Als Museum und Archiv sammeln wir ja einerseits Objekte, andererseits archivieren wir Dokumente. Bestände sind bei uns nach Personen geordnet angelegt – dazu gehören Manuskripte, Lebensdokumente wie Reisepässe, Zeugnisse, Urkunden, Korrespondenzen und auch Sammlungen von oder zu einem Nachlasser. All das muss, wenn es zu uns ins Archiv kommt, in eine archivalische Ordnung gebracht werden. Wenn wir zum Beispiel den Nachlass einer Person bekommen, wird jedes Objekt und Dokument mit einer Inventarnummer versehen und in unseren Datenbanken erfasst. Es wird ein Bestandsverzeichnis erstellt, häufig auch ein analoges Findbuch. In der öffentlichen Datenbank Kalliope kann man unsere Dokumente auch online durchsuchen. Die Digitalisierung unserer Bestände ist dann noch einmal ein ganz eigenes Kapitel.

Das klingt nach einer Unmenge von Material und Detailarbeit. Was für Personen sind denn für uns interessant – und heben wir dann wirklich alles auf?

In erster Linie sind das natürlich Nachlässe und Bestände von „BauhäuslerInnen“, also von Personen, die am Bauhaus waren. Wir sammeln die Dokumente aus deren Zeit am Bauhaus, aber auch danach, um ein möglichst umfassendes Bild einer Person zu bekommen und Lebensläufe rekonstruieren zu können. Das Bauhaus hat ja lange nachgewirkt, nicht nur in der Design- und Architekturgeschichte, sondern auch im Leben derer, die am Bauhaus waren. Und es hat nicht im luftleeren Raum existiert. Deshalb interessieren uns auch Personen, die zwar am Bauhaus weder gelehrt noch studiert haben, aber mit ihm in Kontakt standen, z.B. über Korrespondenzen mit BauhäuslerInnen, oder auch über andere Netzwerke wie den Werkbund. Uns interessiert also ziemlich viel!

Da kommt ganz schön was zusammen. Kannst du eine Zahl nennen?

Tatsächlich ist es so viel, dass wir die Dokumentensammlung in Metern messen. Sie beherbergt ca. 495 laufende Meter an Archivgut, das entspricht ca. 666.570 Blatt. Im alten Gebäude in der Klingelhöferstraße war einfach kein Platz mehr da für all unser Archivmaterial. Auch der Saal für die BenutzerInnen muss daher größer werden. Der Neubau ist also nicht nur für das Museum, sondern auch für das Archiv dringend nötig. Platz ist in einem Archiv immer ein rares Gut!

Viele denken bei Archiv ja immer noch an staubige Aktenberge und enge Flure. Ist das die Realität?

Nein, zum Glück nicht! Schon aus konservatorischen Gründen ginge das gar nicht. Wir haben helle und großzügige Arbeits- und, ganz wichtig, staubfreie Magazinräume, in denen das Raumklima auf die jeweilige Sammlung abgestimmt ist. Überhaupt verbringe ich nur einen Teil meiner Zeit im Depot. Denn bevor etwas dorthin wandert, geht es zuerst durch meine Hände. Sagen wir mal ein Brief: Ich muss sehen, aus wie vielen Blättern er besteht, in welchem Zustand er ist, ich bestimme die Maße und die Materialtechnik – ob Manuskript oder Typoskript – und erfasse die Datierung, natürlich auch Adressat und Absender. Dann wird er im Verzeichnis erfasst und erst dann im Archiv abgelegt. Der Standort ist dann über das Findbuch ersichtlich.

Du bist sehr nah dran an den Archivalien. Hast du ein Lieblingsobjekt?

Das werde ich oft gefragt – aber das muss ich mit Nein beantworten. In unserer Sammlung befinden sich so viele unterschiedliche herausragende Stücke, dass ich mich nicht für eines entscheiden kann. Aber wenn man z.B. einen Brief von Albert Einstein an Walter Gropius in den Händen hat, ist das schon aufregend. Oder wenn man sieht, wie Lyonel Feininger seine Briefe mit Zeichnungen versah.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Müssen Archivare einen Ordnungsfimmel haben? Ist es auch bei dir zu Hause besonders ordentlich?

Gute Frage! Ich habe wohl einen leichten Ordnungsfimmel. Das gehört wahrscheinlich einfach dazu. Sachen wiederfinden, ohne lange zu suchen, ist ja das Ziel – und wie ginge das ohne Ordnung? Ja, auch bei mir zu Hause ist es ziemlich ordentlich!